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Selbstermächtigung in verrechtlichten Verhältnissen

4-rer-Team_3083 (002) ©Heide Fest EUV

Selbstermächtigung in verrechtlichten Verhältnissen. Zum Wandel vergeschlechtlichter Kollektive in Konflikten der Erwerbsarbeit

Forschungsprojekt an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) im Rahmen der DFG-Forschungsgruppe Recht – Geschlecht – Kollektivität

Projektbearbeitung: Isabell Hensel, Judith Höllmann (WiMis), Vanessa Kasprick (SHK)
Projektleitung: Prof. Dr. Eva Kocher
Förderzeit: Mai 2018 – April 2021

Das kollektive Handeln von Beschäftigten in der Erwerbsarbeit ist in Deutschland als Handeln von Betriebsräten und Gewerkschaften sowohl verrechtlicht, weil es eng an gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen gebunden als auch vergeschlechtlicht, weil es am männlichen Normalarbeitnehmer orientiert ist.

Das Teilprojekt fragt danach, welche Rolle das Arbeitsrecht für die Vergeschlechtlichung von Kollektivierungsprozessen und imaginierten Kollektivitäten sowie (insbesondere) für die Konstitution vergeschlechtlicher Kollektive spielt.

Gegenstand der Untersuchung sind alle Erscheinungsformen kollektiven Handelns in der Erwerbsarbeit, einschließlich neuer Handlungsformen, die auf Öffentlichkeit und virtuellen Raum statt auf den Ort des Betriebs setzen und die Selbstvertretung gegenüber verrechtlichen Formen der Interessenvertretung präferieren.

Das Projekt geht dabei von der These aus, dass die verrechtlichten Kollektive, Kollektivitäten und Kollektivierungen im Wandel der Erwerbsarbeit durch Entgrenzung, Entbetrieblichung, Digitalisierung und Subjektivierung in Krisen geraten sind.

Diese Entwicklungen bewirken auf mehreren Ebenen eine Erosion der verrechtlichten Vorstellungen von kollektivem Handeln und Kollektivitäten. Erscheinungsformen von Entbetrieblichung und räumlicher wie zeitlicher Entgrenzung der Erwerbsarbeit bringen veränderte Verständnisse von Zugehörigkeiten und imaginierten Kollektivitäten mit sich. Insbesondere im Bereich digitaler Arbeit finden sich zudem verstärkt Ansprüche auf Selbstvertretung anstelle der traditionellen Fremdvertretung. Gewerkschaften und Betriebsräte reagieren auf den Wandel, indem sie nach neuen Formen von Kollektivierung suchen und dazu an der Entwicklung neuer Kommunikations-, Aktions- und Organisationsformen arbeiten. Diese neuen Formen wie etwa strategische Kampagnen sind vor allem auf die Herstellung von Öffentlichkeit gerichtet und weisen Individualisierungstendenzen und alltagspolitische Bezüge auf. Im Bereich selbstständiger (digitaler) Arbeit lässt sich zudem beobachten, dass sich etwa Freelancer*innen zunehmend über Verbands- und Plattformstrukturen koordinieren.

Diese Entwicklungen deuten zum einen auf eine Dynamisierung der Kollektivierung hin und zum anderen auf ein verändertes Verhältnis zwischen Vertreter*innen und Vertretenen, also zwischen Kollektivierungsprozessen und Subjekten der Erwerbsarbeit. Wir fragen, ob darin neue Repräsentations- und Solidarisierungspotentiale liegen.

Besonders interessant sind diese Veränderungsprozesse im Hinblick auf die Vergeschlechtlichung der Kollektive. Möglicherweise können hier bestehende Kategorisierungen und Normierungsprozesse, die sich an tradierten Geschlechterbildern orientieren, überwunden werden. Kommen die Geschlechtsarrangements in Bewegung? Zentral ist hierbei die Frage, ob Recht dabei eine begrenzende oder ermöglichende Rolle einnimmt.