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Kollektives Arbeitsrecht und Mindestbedingungen

 

Die kollektive Selbstorganisation in Gewerkschaften (und Arbeitgeberverbänden) ist ein zentrales Element demokratischer Arbeitsbeziehungen. Nicht umsonst gelten die Gewerkschaftsfreiheit sowie die Kollektivverhandlungsfreiheit für die Internationale Arbeitsorganisation als „Kernarbeitsnormen“.

Bereits Lotmar und Sinzheimer, die Begründer des kollektiven Arbeitsrechts, sahen eine wesentliche Funktion des Tarifvertrags darin, dass er im Gegensatz zum Einzelarbeitsvertrag eine wirkliche „Vereinbarung“ sein könne. Tarifverträge können die (strukturell nicht verhinderbaren) Machtungleichgewichte zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch Machtgleichgewichte auf kollektiver Ebene kompensieren. Tarifautonomie ist insofern „kollektiv ausgeübte Privatautonomie“. Ihre Bedeutung geht aber weit über die Festlegung der unmittelbaren Austauschbedingungen oder des „Preises“ der Arbeitskraft hinaus. Der kollektive Zusammenschluss ist seit jeher auch ein Instrument der demokratischen Mitwirkung an der Gestaltung der Erwerbsarbeit gewesen. Und das gesamte Arbeitsrecht ist zu einem guten Teil aus dem kollektiven gewerkschaftlichen Zusammenschluss und damit aus der Selbstorganisation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwachsen. Bis heute werden neue Regulierungsfragen wie Weiterbildung oder flexiblere Arbeitszeitmodelle zunächst in tariflichen Entwicklungen vorgeprägt, bevor an eine gesetzliche Regelung auch nur zu denken ist.

Tarifverträge auf Augenhöhe setzen den Arbeitskampf voraus; insofern ist vor allem das Streikrecht eine unerlässliche Institution der Tarifautonomie. „Tarifautonomie ohne Streikrecht ist nichts anderes als ‚kollektives Betteln‘“ (BAG 10. 6. 80 – 1 AZR 168/79). Darüber hinaus ist das Streikrecht aber auch ein Grundelement sozialer Demokratie; seit jeher tragen Beschäftigte und die Gewerkschaften mit seiner Hilfe soziale Anliegen in der Auseinandersetzung mit der Seite der Arbeitgeber in den öffentlichen Raum.

Die Garantie angemessener Mindestbedingungen für die abhängig Beschäftigten über die kollektivvertraglichen Gewährleistungen hinaus hat auch eine menschenrechtliche sowie arbeitsmarktpolitische und wettbewerbsleitende Funktion. Wo die Tarifautonomie nicht ausreicht oder nicht hinreicht, bedarf es gesetzlicher Mindestbedingungen für alle Beschäftigten und Branchen; bereits der Deutsche Juristentag forderte 2010 in seiner arbeits- und sozialrechtlichen Abteilung einen allgemeinen Mindestlohn. An bestimmten Stellen können Funktionen solcher Mindestsicherung allerdings auch durch die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen nach dem AVE sowie dem AEntG erfüllt werden.

 

Publikationen und Projekte zu diesem Forschungsschwerpunkt

Berg/Kocher/Schumann (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht. Kompaktkommentar, 5. Aufl. Bund-Verlag Frankfurt/Main 2015

- Arbeitskampfrecht

- Tarifautonomie

- Mindestbedingungen