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Forschungsskizze

Crowdworking – Prozess und Fragen 

Crowdworking ist eine neue Form der Koordination von Erwerbsarbeit: Unternehmen (Crowdsourcer) rufen eine potentiell anonyme Masse von Personen (die Crowd) zur Erbringung unterschiedlicher Leistungen. Dies geschieht meist über digitale Plattformen im Internet, bei denen die Crowdworker_innen registriert sind. Als räumlich und zeitlich distante Wirtschaftssubjekte in der Umwelt der Unternehmen werden sie also mittels neuer digitaler Technologien in den Wertschöpfungsprozess eingebunden.

Im Mittelpunkt unserer Beobachtungen stehen die vielseitigen und komplexen Inter­aktions- und Aushandlungs­beziehun­gen zwischen Crowdsourcern, internetbasierten Koordinations­platt­formen, Crowd und Crowd­worker_innen.

In der ersten Förderphase widmeten wir uns den verschiedenen Formen und Organisationsprozessen des Crowdworkings sowie rechtlichen Aspekten dieses Beschäftigungsverhältnisses aus einer soziologischen, wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Perspektive. Nach zwei Jahren intensiver Forschung an unterschiedlichen Materialien – wie etwa Interviews, AGBs, statistische Daten – verfügen wir nun über differenzierte Einsichten in die Formen, Interaktionsordnung(en) und normativen Herausforderungen des Crowdworking. 

Aufbauend auf den Ergebnissen der ersten Förderphase liegt unser Forschungsschwerpunkt in der zweiten Phase insbesondere auf komplexeren Formen des Crowdworkings. Darunter verstehen wir Tätigkeiten, deren Ergebnisse offen sind und daher eine spezifische Qualifikation der Crowdworker_innen erfordern. Dies betrifft beispielsweise Formen der Wissens- oder Kreativarbeit, die über Plattformen vermittelt werden. Im komplexen Crowdworking sind auch Interaktionen der Crowdworker_innen relevant; diese können sowohl kollaborative als auch kompetitive Ausprägungen annehmen.

Vor diesem Hintergrund erforschen wir nun die Crowd, die komplexen Tätigkeiten nachgeht. Wir wollen herausfinden, aus welchen Crowdworker_innen sich diese Crowd zusammensetzt, welchen Praktiken sie nachgeht und nach welchen Ordnungen sie sich koordiniert.

Einblick in unsere Ergebnisse

Die Ergebnisse der ersten Förderphase tragen zum Erkenntnisgewinn sowohl in der soziologischen, wirtschafts- als auch rechtwissenschaftlichen Forschung zum Gegenstand bei:

Soziologie: Die Arbeitskräfte nehmen im Prozess des Crowdworking eine ambivalente Position ein. So rekurrieren beispielsweise die von uns interviewten Plattformarbeiter_innen im Bereich des Softwaretesting (Prüfen von Software auf Fehler) einerseits auf die Vorstellung, sie könnten eigenständig entscheiden, welche Aufträge sie bearbeiten. Andererseits dokumentiert sich in ihren Beschreibungen des Prozesses der Auftragsakquise aber zugleich das Selbstbild eines „passiven Arbeitskraftanbieters“: Sie können nur aus solchen Aufträgen auswählen, für die sie „eingeladen“ werden. Eigenständige Auftragsakquisen und damit die Möglichkeit, den Inhalt der Arbeit selbst zu bestimmen, sind auf Software-Plattformen – aber auch anderen Plattformtypen – ausgeschlossen. An diesem und zahlreichen anderen Beispielen zeigt sich, dass Crowdworker_innen zwischen den Logiken des Marktes und der Hierarchie positioniert bzw. ‚eingeklemmt’ sind. Sie agieren als freie Wirtschaftssubjekte, unterliegen aber gleichzeitig vielfältigen Interdependenzformen.

Wirtschaft: Gegenwärtig können zwei Formen des Crowdworking unterschieden werden. Auf der einen Seite steht das einfach Crowdworking, bei dem die Plattformarbeiter_innen unabhängig voneinander simple Tätigkeiten, wie etwa das Kategorisieren von Bildern, übernehmen. Auf der anderen Seite findet sich das komplexe Crowdworking. Hier arbeiten gut ausgebildete Arbeitskräfte kooperativ an anspruchsvollen Projekten, beispielsweise dem Entwurf innovativer Produktdesigns. Mit Blick auf die Entwicklung der Crowdumfänge beider Erscheinungsformen des Crowdworking sowie die im Hintergrund stehenden Finanzströme wird deutlich, dass sich das komplexe Crowdworking, im Unterschied zum einfachen, stark ausdehnt und langfristig am Markt etablieren wird.

Recht: Die rechtswissenschaftliche Analyse einer Vielzahl von AGBs nationaler und international angesiedelter Plattformen bestätigt dieses Bild. Es wird deutlich, dass sich Plattformen gegenüber Crowdworker_innen in einer zwiegespaltenen Rolle positionieren. Einerseits bezeichnen sie die Arbeitskräfte als Selbstständige und sich selbst als reine Vermittler von Arbeitskraft. Andererseits können sie quasi „wie Arbeitgeber“ selbst in alle Phasen des Crowdworking-Prozesses strukturierend eingreifen: von der Steuerung des Zugangs über die Kontrolle der Arbeitsprozesse bis hin zur Vergütung der Arbeitsleistungen. Dies zeigt, dass sich mit dem Crowdworking hybride Beschäftigungsformen zwischen den Rechtsformen Selbstständigkeit und Arbeitnehmerstatus etablieren. Das daraus folgende Schutzbedürfnis der Crowdworker_innen stellt die Rechtsdogmatik vor große Herausforderungen.